50 Jahre DAG für den Bereich Kiel.

Die Anfänge der DAG und die ersten Jahre.
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-sd-
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50 Jahre DAG für den Bereich Kiel.

Beitragvon -sd- » 20.03.2010, 17:20

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50 Jahre Deutsche Angestellten-Gewerkschaft in Kiel,
ihre Anfänge und die ersten Jahre.


Als auf den Tag genau vor 50 Jahren hier im Kieler Rathaus die Gründung der Deutschen-Angestellten-Gewerkschaft
für den Bereich Kiel erfolgte, hatten einige wenige Kollegen ihr Ziel erreicht, das sie durch die Machtübernahme durch
Hitler und der damit verbundenen Zerschlagung freier Gewerkschaften in über zwölf Jahren Diktatur, Berufsverbot
und politischer Verfolgung nie aus den Augen verloren. Es waren Kollegen, die bis zum Verbot in einem der über 90
Angestelltenverbände ehren - oder hauptamtlich tätig waren. Ihr Ziel war klar: Statt der teilweise konfessionell oder
parteipolitisch gebundenen Gewerkschaften und Verbände wie vor 1933, wollten sie eine politisch und konfessionell
neutrale Gewerkschaft gründen, die allen Angestellten eine gewerkschaftliche Heimat werden konnte.

Nun hat man mich gebeten, in einem Rückblick über die Vorbereitungen zur Gründung und ihre Gründung selbst
anhand der noch spärlich vorhandenen Unterlagen und aus eigener Erfahrung zu berichten, weil - so meinte man -
ich 'ein Mann der ersten Stunde' sei. Doch diese Meinung muß ich korrigieren: Ich wurde erst im April 1948 Mitglied
des Ortsgruppenvorstandes, nachdem ich zuvor zum Ortsjugendleiter gewählt worden war.

Die Männer der ersten Stunde jedoch wären heute fast alle über 100 Jahre und sind nicht mehr unter uns.
Sie kamen noch im Mai unmittelbar nach der Kapitulation auf Initiative des Kollegen Franz Stolze, dem späteren
1. Bevollmächtigten der Ortsgruppe Kiel zusammen, um erstmalig wieder ohne Angst vor einer eventuellen Ver-
haftung, die gewerkschaftliche Zukunft zu planen. Ich saß zu dieser Zeit als 16jähriger Reichsarbeitsdienstmann
mit der Armbinde 'Deutsche Wehrmacht' im Internierungslager und wartete auf meine Entlassung, um nach meiner
Rückkehr im Juli 1945, den durch meine Einberufung unterbrochenen Schulbesuch fortzusetzen. Doch mein Vater,
auch schon vor 1933 als Gewerkschafter aktiv und seit 1945 mit der Mitgliedsnummer 301 im 'Zentralverband
der Beamten und Angestellten, Kreis Kiel', der späteren Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Mitglied, sorgte
dafür, daß ich frühzeitig mit den gewerkschaftlichen Zielen und Aktivitäten vertraut gemacht wurde. So war es
nur logisch, daß ich mit Beginn meiner Lehre in Kiel ebenfalls Mitglied wurde. Das ist auch schon immerhin fast
48 Jahre her. Ob ich allerdings die Mitgliedschaft meines Vaters erreiche, ist jedoch zweifelhaft, denn er war 78
Jahre Gewerkschaftsmitglied.

Doch mein Beitritt zur DAG hatte auch einen realen Grund. Auf der Suche nach zusätzlichen Bildungsmöglichkeiten,
fragte ich bei der Volkshochschule nach, die mir damals als einzige Abendbildungsstätte bekannt war. Im Gegen-
satz zu heute vertrat man dort jedoch den Standpunkt, berufliche Aus- und Weiterbildung sei Wissensvermittlung
und falle daher nicht unter die Bildungsaufgaben einer Volkshochschule. Man empfahl mir, es doch einmal bei der
Deutschen Angestellten-Gewerkschaft zu versuchen. Hier fand ich ein kleines Bildungsangebot, denn man hatte
sich schon kurz nach der Gründung auf die Arbeit einiger Vorgängerorganisationen besonnen und war aktiv ge-
worden. Diese Lehrgänge waren für die DAG der Grundstein für eine Bildungsarbeit, die bei den Angestellten,
aber auch bei den Kommunen und staatlichen Stellen große Anerkennung gefunden hat. Ich erinnere nur an die
Scheinfirmenarbeit, die heute unter dem Namen Übungsfirmen der Arbeitsverwaltung zur Wiedereingliedung der
Langzeitarbeitslosen dienen. Ich denke an die ab 1949 fast zwei Jahrzehnte lang durchgeführten Berufswettkämpfe,
an denen auch in Kiel an einem Sonntagmorgen viele hundert Lehrlinge teilnahmen, und ich erinnere an die 1959
erfolgte Gründung der Deutschen Angestellten-Akademie, die als erste Einrichtung in Schleswig-Holstein staatlich
anerkannte Betriebswirte ausbildete. Ein Beweis mehr für die Führungsrolle der DAG in den Nachkriegsjahren.

Wenn ich von Zeitzeugen spreche, muß ich an dieser Stelle aber auch an die Kolleginnen und Kollegen erinnern,
die zwar Zeitzeugen waren, selbst aber den Neuanfang nicht mitgestalten konnten. Die Männer waren teilweise
für Jahre noch als Kriegsgefangene in den Lagern besonders der Sowjetunion und der anderen Siegermächte.
Dieses Schicksal teilten auch hunderttausende Frauen und Kinder. Sie wurden auf der Flucht aus ihrer Heimat
von den Soldaten der Sowjetarmee überrollt, vergewaltigt und in den Osten verschleppt, wo sie entweder den
Tod fanden oder aber Jahre später aus dem Internierungslager entlassen wurden. Auf ihre Art waren sie ebenfalls
Frauen und Männer der ersten Stunde, denn oft traten sie unmittelbar nach ihrer Heimkehr der DAG bei und über-
nahmen trotz negativer Erfahrungen aus der Hitler- und Nachkriegszeit durch ihre Mitarbeit in den Vorständen
Verantwortung. Für unsere Organisation waren sie ein Gewinn, denn neben einer Verjüngung der Vorstände
konnten sie ohne Belastung, der auch persönlichen Auseinandersetzungen der Kollegen früher konkurrierender
Gewerkschaften, erheblich zum Ausgleich beitragen. Sie haben den Auf- und Ausbau unserer Organisation ent-
scheidend beeinflußt und die DAG in der Öffentlichkeit wirkungsvoll vertreten. Auch ihnen gilt heute unser Dank.
Stellvertretend für diese Kollegen lassen Sie mich den heute anwesenden Kollegen Johann Jeske nennen, der
nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft sofort der DAG beitrat und unmittelbar danach auch aktiv wurde. Wir
kennen ihn als Vorsitzenden der Ortsgruppe, des Bezirks und des Landesverbandsvorstandes. Darüber hinaus
hat er die schleswig-holsteinische DAG viele Jahre im Gewerkschaftsrat, dem höchsten ehrenamtlichen Gremium
unserer Organisation auf der Bundesebene, vertreten. Seine Mitgliedschaft im Finanzausschuß und die zwölf Jahre
als Vorsitzender im Personalausschuß haben auch auf der Bundesebene positive Spuren hinterlassen.

Doch zurück zu den Anfängen im Jahre 1945. Die ersten Gespräche fanden unmittelbar nach der Kapitulation
auf Initiative und unter Vorsitz des Kollegen Franz Stolze in seiner Wohnung statt. Er stellte auch die Kontakte
zu den Hamburger Kollegen her, um den Aufbau einer möglichst einheitlichen Angestelltenorganisation in der
damals Britischen Besatzungszone zu erreichen. Man nannte sich 'Vorbereitender Ausschuß zur Bildung
der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft'. Ziel war eine eigene Angestellten-Gewerkschaft im 'Allgemeinen
Deutschen Gewerkschaftsbund, Kreis Kiel', der sich ebenfalls im Aufbau befand und dem der Kollege Stolze
als Vertreter der DAG als 2. Vorsitzender angehörte. Lassen Sie mich neben Franz Stolze noch die Namen der
Kollegen der ersten Stunde nennen. Es waren der Kollege Ernst Heidemann, unser späterer Geschäftsführer,
und die Kollegen Alfred Häußler, Gerhard Reich und Karl John von der Stadtverwaltung Kiel, Paul Einbrodt von
der Justizverwaltung, Franz Hoppe und Max Spretke von den Stadtwerken, Ernst Günther von Hagenuk,
Willy Kohnert von den Howaldtswerken sowie Kurt Seifert vom Polizeipräsidium und - nicht zu vergessen -
Arthur Schneider vom Arbeitsamt Kiel. Auch er wurde, wie Hans Jeske, später Mitglied des Gewerkschaftsrates.

Man plante vier Berufsgruppen als weitgehend eigenständige Gruppen. Mit den vorläufigen Bezeichnungen
'Gruppe der kaufmännischen Angestellten', 'Technische Angestellte und Werkmeister', 'Büro- und Verwaltungs-
angestellte' und und 'Angestellte in freien und künstlerischen Berufen' hoffte man, alle beitrittswilligen Ange-
stellten einordnen zu können. Doch wurde diese Arbeit zunächst unterbrochen, denn man hatte die Rechnung
ohne den Wirt gemacht. Die Britische Militärregierung verbot diese vorbereitenden Sitzungen und verlangte
eine Gewerkschaftsgründung nach britischem Muster. Nach ihrem Willen sollten Gewerkschaften von unten nach
oben und nicht umgekehrt aufgebaut werden. Man mußte also in die Betriebe gehen. Doch diese Gründungen
waren mit Auflagen verbunden. Sie waren bei der Militärregierung anzumelden und das zu haltende Referat, mit
der Bitte um Genehmigung, einzureichen. Gleichzeitig mußte ein Vertrauensmann benannt werden, der bei der
Veranstaltung anwesend zu sein hatte, um den Engländern anschließend zu bestätigen, daß das Referat in der
vorgelegten Fassung auch gehalten wurde. Verschiedene Auflagen galten auch noch später. So hatte ich z.B.
nach meiner Wahl im April 1948 zum Ortsjugendleiter eine Bescheinigung über meine erfolgte Entnazifizierung
einzureichen und bekam erst nach einem 'Prüfungsessen' beim britischen Jugendoffizier für zunächst ein Jahr
die Erlaubnis, als Jugendleiter tätig sein zu dürfen.

Da aber auch Veranstaltungen auf der Betriebsebene vorbereitet werden mußten, erlaubte man dann doch einen
'Vorbereitenden Ausschuß zur Bildung von Gewerkschaften', der mit Genehmigung der Militärregierung zu Versamm-
lungen und Wahlen in den Betrieben aufrief, um im Bereich der Stadt Kiel ab 17. Oktober 1945 freie Gewerkschaften
zu gründen. So wurden in unzähligen Betrieben - zunächst in den großen, dann in den Mittel- und Kleinbetrieben -
die geforderten Sprecherwahlen durchgeführt und in der vorgeschriebenen Zahl gewählt. Eine sich anschließende
Sprecherversammlung der Angestellten erarbeitete eine Satzung, die der Gründungsversammlung zur Verabschie-
dung vorgeschlagen wurde. Man beschloß darüber hinaus, der Gründungsversammlung den Namen 'Deutsche
Angestellten-Gewerkschaft' vorzuschlagen, da der Kollege Stolze durch seine engen Kontakte zu den Hamburger
Kollegen erfahren hatte, daß dort die Gewerkschaftsgründung unter diesem Namen bereits erfolgt und genehmigt
worden war.

Die Bemühungen um die Neugründung hatte Erfolg. Kollege Stolze erhielt die Erlaubnis, zur Gründungsversammlung
am 23. Januar 1946
ins Kieler Rathaus einzuladen. Unter Aufsicht der Militärregierung leitete der 1. Bevollmächtigte
des ADGB, Bruno Diekmann, die Veranstaltung und konnte zahlreiche Ehrengäste, unter ihnen auch den Oberbürger-
meister der Stadt Kiel, begrüßen.

Am Rande sei erwähnt, daß Bruno Diekmann im April 1946 von den Briten als Landesminister für Wirtschaft und
Verkehr eingesetzt wurde und in der ersten Wahlperiode 1949 unseren DAG-Kollegen Hermann Lüdemann als
Ministerpräsident folgte.

Nach einem Referat des Kollegen Stolze wurde die Satzung verabschiedet, und die 66 gewählten Sprecher aus
über 60 Betrieben konnten erstmalig einen Vorstand wählen. Vorsitzender wurde Franz Stolze, zu seinem Stell-
vertreter wählte man Arthur Schneider. Max Spretke übernahm die Kasse und die Kollegen Willy Hermann, Willy
Kohnert, Alfred Häußler und Ernst Heidemann wurden zu Beisitzern gewählt. Revisoren wurden Richard Thiede,
Bruno Treumann und Louis Poser.

Meine Damen und liebe Kolleginnen, es ist ihnenn sicherlich schon aufgefallen, ich habe bisher nur immer von
Kollegen gesprochen. Man könnte es mir als frauenfeindlich und Mißachtung der Kolleginnen auslagen. Doch dem
ist nicht so. Trotz intensiver Suche fand ich in der Liste der in den Betrieben gewählten Sprecher und Sprecherinnen
nur vier Namen von Kolleginnen. Doch in den Unterlagen zur Gründung und den anschließenden Wahlen waren sie
schon nicht mehr erwähnt. Erst später, als die Satzung für die Vorsitzenden der Frauengruppe die Mitgliedschaft
im Vorstand vorsah, trat langsam eine Trendwende ein. Doch reklamierten die Kollegen hier in Kiel noch längere
Zeit den Posten des Schriftführers für sich, als anderswo eine Kollegin als Schriftführerin die Alibifrau der Männer
wurde. Dies hat sich zum Glück grundlegend geändert, wie wir am Beispiel der Kollegin Ute Adler sehen, die im Früh-
jahr des letzten Jahres zur Vorsitzenden dieses neu strukturierten Bezirks Kiel / Plön gewählt wurde.

Zurück zur Gründung. Nach Klärung der politischen Vergangenheit der Gewählten und dem Gesuch, als Deutsche
Angestellten-Gewerkschaft tätig werden zu dürfen, teilte die Geschäftsstelle der Militärregierung dem Kollegen
Stolze am 22. Mai 1946 mit, daß er ermächtigt wird, "Gebäude für Zwecke der Gewerkschaft anzumieten, Mit-
glieder zu gewinnen und Beiträge einzusammeln, einen Mitarbeiterstab einzustellen, Mitgliederversammlungen
und öffentliche Versammlungen abzuhalten, um Mitglieder zu gewinnen und Propaganda material herauszugeben,
soweit Papierbelieferungen und Druckmöglichkeiten es erlauben". Es folgte der Hinweis, daß die drei letztgenannten
Aktivitäten jedoch zuvor der Genehmigung bedürfen. Darüber hinaus war zu jedem Monatsersten ein Bericht zu er-
stellen, der über die Fortschritte beim Aufbau zu berichten hatte.

Trotz erheblicher Schwierigkeiten, Papier zu bekommen und Schreiben zu vervielfältigen, war die Arbeit erfolgreich,
obwohl der Schriftwechsel, die Mitgliederlisten und Protokolle oft handschriftlich erstellt werden mußten. Die Mit-
gliederzahl stieg in wenigen Monaten auf über 2.000. Diese Arbeit konnte nicht mehr in der Wohnung des Kollegen
Stolze abgewickelt werden. Die Militärregierung hatte ein Einsehen und stellte dem ADGB, dem wir ja noch ange-
hörten, einen Raum zur Verfügung, den sich die Gewerkschaften teilten. Nach der Freigabe des Gewerkschafts-
hauses in der Legienstraße Ende April 1947, erhielt die DAG dann drei kleine Verwaltungsräume, in denen die ersten
vier hauptamtlichen Mitarbeiter ihren Patz fanden. Neben Kollegen Stolze waren es Ernst Heidemann und die
Kolleginnen Leni Boock und Gertrud Weber. Sie fungierten gleichzeitig als Bezirks- und Landesverbandsgeschäfts-
stelle, obwohl ein Bezirk und Landesverband offiziell noch gar nicht bestanden.

Nicht gewerkschaftliche Probleme , sondern organisatorische Fragen und der Aus- und Aufbau der Organisation
bestimmten den Arbeitsablauf der Mitarbeiter und der gewählten Vorstände. An gewerkschaftliche Probleme und
Forderungen mochte man gedacht haben, doch Fragen der Versorgung beherrschten den Alltag. Eine Broschüre
zur 50jährigen Wiederkehr der Einweihung des Kieler Gewerkschaftshauses im Jahre 1957 beschreibt die damalige
Zeit sehr treffend. Ich zitiere auszugsweise:

"Die junge Bewegung hatte schwere Aufgaben zu lösen. Die Bevölkerung litt unter Hunger und Kälte. Trotzdem
ging der verantwortungsbewußte Teil der Kieler Arbeiterschaft daran, ihre Betriebe vom Schutt zu befreien, um
so die Voraussetzung für das Anlaufen der Produktion zu schaffen. Bei den geringen Zuteilungen an Lebensmitteln
war es den Werktätigen unmöglich, die schwere Aufbauarbeit zu leisten. Eine geringe Besserung sollten die
Lebensmittelzulagekarten bringen. Es war nicht immer leicht, diese Karten für Schwerst- und Schwerarbeit gerecht
zu verteilen. Immer wieder wurden Verhandlungen mit der Militärregierung und den Behörden aufgenommen, um
eine Erhöhung der Rationen durchzusetzen, doch trotz einiger kleinen Verbesserungen blieb die Ernährung unzu-
reichend. Die Bevölkerung war der Verzweiflung nahe." Die Wende kam erst mit dem Tag der Währungsreform
am 30. Juni 1948
. von da ab konnten die Gewerkschaften weitgehend frei von den Auflagen der Militärregierung
arbeiten und mit den Arbeitgebern Vereinbarungen treffen und Tarifverträge abschließen.

Doch gerade zu diesem Zeitpunkt wurde unsere erfolgreiche Arbeit zusätzlich erschwert. Durch den Beschluß
des Außerordentlichen Bundeskongresses vom 16. bis 18. Juni 1948 in Recklinghausen, nur das Industrie-
gewerkschaftsbetrieb zu akzeptieren, gehörten wir nicht mehr dem Deutschen Gewerkschaftsbund an
, obwohl
wir nie unseren Austritt erklärt haben. Dieser Ausschluß wurde auf der Ortsebene konsequent vollzogen. So war ich
Teilnehmer der Sitzung, in der alle Vorstandsmitglieder einzeln vom Vorsitzenden des DGB, Bruno Verdick, befragt
wurden, ob wir in Zukunft dem DGB oder aber der DAG angehören wollen. Alle Anwesenden erklärten ihr Verbleiben
in der DAG. Darauf erklärte man uns, wir seien die Spalter der Einheitsgewerkschaft und möchten das Haus verlassen.
Doch die Räume im Gewerkschaftshaus konnten sie uns nicht nehmen, denn durch die Einzahlung eines Stamm-
kapitals in der Höhe von 30.000 Reichsmark in die Gewerkschaftshaus GmbH, Anfang 1947, waren wir Mitinhaber
des Hauses geworden und blieben es zunächst auch.

Doch Turbulenzen und Mitgliederverluste blieben nicht aus, zumal uns einige der zum DGB gehörenden Gewerk-
schaften zur feindlichen Organisation erklärten. Doch die Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen wurde von den
staatlichen Stellen und den Angestellten honoriert, denn zur 10-Jahres-Feier, 1956 im Kieler Stadttheater, konnte
der Kollege Stolze in seinem Rechenschaftsbericht mit berechtigtem Stolz feststellen, daß der DAG in Kiel bereits
über 7.000 Mitglieder angehörten. Die Arbeit dieser ersten zehn Jahre war so erfolgreich, daß wir 1953 in der
Fleethörn und Muhliusstraße einen DAG-eigenen Wohnblock und eigene Büroräume beziehen konnten. Besonders
stolz waren wir, daß gleichzeitig ein Saal gebaut wurde, der als erster Saalbau nach dem Krieg in Kiel erstellt wurde.
Als 'Wilhelm-Dörr-Saal', benannt nach dem ersten Vorsitzenden der DAG nach dem Krieg, wurde er Mittelpunkt
unserer Arbeit und Veranstaltungsort vieler Verbände
.

Trotz Ernennung eines ersten Landeskabinetts, im April 1946, blieb die Alleinzuständigkeit bis zur Gründung
der Bundesrepublik bei der Militärregierung. Gesetze, besonders im Arbeits- und Sozialrecht, gab es noch nicht.
Unsere Kolleginnen und Kollegen wußten sich jedoch zu helfen. Sie arbeiteten mit den Gesetzen und der Rechts-
sprechung von vor 1933 und versuchten so, zu Vereinbarungen mit den Arbeitgebern zu kommen. Erste Betriebs-
vereinbarungen verwiesen zwar auf Anweisungen der Alliierten Kontrollbehörde aber auch auf das Arbeitsgerichts-
gesetz vom 1925 und die Arbeitsrechtssprechung von vor 1933. Auf Kiel bezogen, hatte die Stadtverwaltung Kiel
eine der ersten Betriebsvereinbarungen. Sie datiert vom 1. April 1948 und ist unterschrieben von unserem Kollegen
Alfred Häußler. Daß es auch schon zu dieser Zeit unterschiedliche Auffassungen über arbeitsrechtliche Fragen
gegeben hat, zeigt ein Vermerk, daß mit dieser Vereinbarung Rechte anderer Gremien beschnitten werden. Man
war nicht damit einverstanden, dem Betriebsrat schon bei Einstellungen ein Mitspracherecht einzuräumen und
empfahl, "die Betriebsvereinbarung zum nächstmöglichen Zeitpunkt zu kündigen".

Ich muß - auch aus Zeitgründen - meinen Rückblick beenden. Manches könnte noch berichtet werden, denn nach
anfänglichen Bedenken, ob das Material für einen Rückblick reichen würde, wurde bei der Durchsicht der Unterlagen
viele Erinnerungen wach, so daß die Qual der Wahl Platz griff. Ich kann daher nur hoffen, den hier anwesenden
Älteren Anstoß für eigene Erinnerungen gegeben zu haben. Für Jüngere ist diese Zeit kaum nachvollziehbar. Wenn
es mir trotzdem gelungen ist, auch ihnen die Einsatzfreude und den Idealismus der Frauen und Männer der ersten
Stunde deutlich zu machen, habe ich mein Ziel erreicht. Ich wünschte mir auch für die heutige Zeit, die auf andere
Art für viele in unserem Land und in der Welt nicht leichter bzw. noch schwerer ist, als es für uns die Zeit nach 1945
war, besonders auch das ehrenamtliche Engagement vieler, um die Not bei uns und in der Welt ein wenig zu lindern.

Herzlichen Dank für Ihre Geduld und das Zuhören.

Hans Gerhard Ramler

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