Ist ein Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit notwendig ?

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-sd-
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Ist ein Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit notwendig ?

Beitragvon -sd- » 04.03.2015, 12:02

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Ein Betrieb – eine Gewerkschaft. Das war die Forderung des DGB – gegen DAG, Beamten-Bund und andere eigenständige Organisationen.

Das Bundesarbeitsgericht hat 2010 die bisherige Rechtsprechung zur Tarifeinheit (= Innerhalb eines Betriebes nur ein Tarifvertrag.)
zu Gunsten einer Tarifpluralität aufgehoben. Die Folge waren Streiks von mächtigen, kleinen Gewerkschaften, die die Dienstleistungen
von Branchen lahmlegten – wegen Forderungen, die von den 'großen' Gewerkschaften nur wenig bis keine Berücksichtigung fanden.
Wohl aber als sehr berechtigt vom streikenden Klientel angesehen wurden.

Die Streiks waren volkswirtschaftlich schädlich, störten Verbraucher, Berufstätige usw. Das Verständnis für solche Art von Streiks sank.
Die Situation ist bekannt. Weniger bekannt: Es geht um Arbeitskampfrecht.

Bereits im Sommer 2010 hatten sich die Arbeitgeberseite (BDA) und DGB geeinigt, einen Vorschlag zur gesetzlichen Regelung der
Tarifeinheit vorzulegen. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) stellt dem Parlament einen 'Entwurf eines Gesetzes zur Regelung
der Tarifeinheit' vor. Danach soll in einem Betrieb nur die Rechtsnorm des Tarifvertrags gelten, der die meisten Mitglieder hat.

Kleinere Gewerkschaften, viele Persönlichkeiten wie z.B. der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum, aber auch der Wissen-
schaftliche Dienst des Deutschen Bundestags melden grundgesetzliche Bedenken an. Auch innerhalb der Gewerkschaften ist der Entwurf
umstritten.

Heftiger noch: Wir können bereits jetzt in der Presse nachlesen, wie Interessengruppen und Persönlichkeiten das Gesetz durch hoch-
karätige Anwälte aushebeln lassen wollen.

Es wird immer umstrittene Gesetzesentwürfe und Gesetze geben. Jede Regierung sollte es aber vermeiden, Gesetze zu verabschieden,
die anschließend vor den obersten Gerichten als unrechtmäßig und verfassungswidrig außer Kraft gesetzt werden. Das schadet Regierung
und Parlament.

Was passiert, wenn der Entwurf in dieser Form Gesetz wird ?

Lassen wir die rechtlichen Bedenken einmal beiseite. Die Forderung ist auch ansonsten problematisch. Vielleicht ist sie ein Eigentor,
das die gesamte Gewerkschaftsbewegung auf lange Sicht beeinträchtigt. Wer sagt denn, daß es die Gewerkschaften des DGB sind,
die die Mehrheit im Betrieb behalten. Grenzstreitigkeiten zwischen den DGB-Gewerkschaften wird es immer geben. Auch daß für
eine (Aktien-)Gesellschaft mehrere Gewerkschaften sich die Zuständigkeit streitig machen. Eine dritte Kraft kann da ganz schnell
zur größten "Betriebsgewerkschaft" werden.

Wenn der Entwurf so in Kraft tritt, ist eine mögliche Entwicklung vorhersehbar: Wir werden mehr betriebsabhängige, "Gelbe"
Gewerkschaften bekommen, weitgehend frei vom DGB-Einfluß. Zuerst nur in wenigen Betrieben. Das haben wir auch jetzt schon.
Aber das ist deutlich steigerungsfähig. Besondern in Teilen des Mittelstands und in den Betrieben, die schon immer
"gewerkschaftsfrei" sein wollten oder den Einfluß der "von außen kommenden Funktionäre des DGB" schon immer den Kampf
angesagt hatten.

Weitsichtige Funktionäre wissen das. Aber ein kurzfristiger Erfolg gegen eine Spartengewerkschaft ist für manche vielleicht wichtiger.
Sieht man den enormen finanziellen Anreiz, den es hat, wenn eine aktive Betriebsorganisation stärker als die Gewerkschaft wird –
und niedrigere Tarifabschlüsse vereinbart ? Hat man von den Aktivitäten für "gewerkschaftsfreie" Betriebe in vielen Staaten nicht
gelernt ?

Das Gesetz könnte zu einer Keule werden, mit der man sich selbst schlägt.

Bernd Anders

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