20 Jahre Konflikt DAG - DGB.

DAG - DGB
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-sd-
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20 Jahre Konflikt DAG - DGB.

Beitragvon -sd- » 18.04.2011, 13:03

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Diese Dokumentation enthält einen Abriß der Geschichte der gewerkschaftlichen Angestelltenbewegung und geht besonders auf die Gründung
und Entwicklung der DAG ein. Die Dokumentation macht außerdem deutlich, welche gravierenden organisationspolitischen Hindernisse einer
Aufnahme der DAG in den DGB entgegenstanden.

Der nachfolgende Text wurde 1969 unter der Überschrift 20 Jahre DAG und ihr Konflikt mit dem DGB
im DIENST FÜR GESELLSCHAFTSPOLITIK abgedruckt und stand zeitlich mit dem 20-jährigen Bestehen der DAG und des DGB im Zusammenhang.


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Die Angestelltenbewegung bis 1914.

Die Anfänge der Angestelltenbewegung in Deutschland reichen bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück, in der es bereits zur
Gründung von lokalen Handlungsgehilfen-Vereinen kam. Der bekannteste unter ihnen wurde der 1774 gegründete Verein der Handlungs-
gehilfen zu Breslau, der - wie viele andere Organisationen dieser Art - noch bis 1933 als Unterstützungs-, Bildungs- und Geselligkeits-
vereinigung bestand.

Die erste zentrale Organisation der Angestellten war der 1858 mit Sitz in Hamburg gegründete Verein für Handlungscommis. Charakter-
istisch war für ihn, daß nach dem Muster der Gesellenzünfte in ihm auch die Prinzipale (veraltet für: Lehrherr, Geschäftsinhaber) Mitglieder
sein konnten. Wie den meisten Vereinigungen jener Zeit fehlte ihm jeder eigentlich gewerkschaftliche Charakter.

Dies änderte sich in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Namentlich der 1884 als Ableger der Hirsch-Dunckerschen Gewerk-
vereine gegründete Verein der Deutschen Kaufleute (VDDK) war bemüht, den Gewerkschaftsgedanken auch in die Angestelltenschaft zu
tragen und sie zur Durchsetzung sozialpolitischer Forderungen zu solidarisieren.

Als Pendant zum liberalen VDDK bildete sich in den 80er Jahren die sozialistisch orientierten 'Freien Organisationen der jungen Kaufleute'
auf örtlicher Ebene als Vorläufer des späteren Zentralverbands der Handlungsgehilfen und -gehilfinnen Deutschlands. Der mitglieder-
stärkste Angestelltenverband wurde jedoch der 1893 in Hamburg gegründete Deutsch-nationale Handlungsgehilfenverband (DHV).
Dieser Verband war zwar betont national, betrieb aber zugleich eine entschiedene Interessenvertretung für die Angestellten. Zu Beginn
des Ersten Weltkriegs gab es im Deutschen Reich etwa 77 Angestelltenverbände.

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Die Angestelltengewerkschaften der Weimarer Republik.

Auch nach dem Ende des Ersten Weltkriegs blieb die gewerkschaftliche Zersplitterung der Angestellten groß. Man zählte nicht weniger
als 91 Angestelltenverbände, davon 13 Verbände der kaufmännischen und 29 der technischen Angestellten. Erstaunlich hoch war im
Unterschied zu heute jedoch der Organisationsgrad, der vor 1933 rund 40 Prozent betrug (heute nur etwa 25 Prozent).

In der Weimarer Republik spielten vor allem drei Dachorganisationen der Angestelltenbewegung eine Rolle:

* Gewerkschaftsbund der Angestellten (GdA), ihm gehörten der 58er-Verein, der VDDK, der Privatbeamten-Verband und der
Gruben- und Fabrikbeamten-Verband an. Der GdA arbeitete eng mit dem freiheitlich-nationalen Gewerkschaftsring zusammen.

* Gesamtverband deutscher Angestelltengewerkschaften (GedAG), dem der DHV, sowie der Werkmeisterverband und der
Verband Deutscher Techniker angehörten. Der GedAG liierte sich mit den christlichen Gewerkschaften.

* Allgemeiner freier Angestellten-Bund (AfA-Bund), der aus der während des Kriegs gebildeten Arbeitsgemeinschaft der freien
Angestelltenverbände hervorgegangen war und der eng mit dem sozialistischen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund
zusammenarbeitete.


Wie die Arbeitergewerkschaften wurden auch die Angestelltengewerkschaften 1933 aufgelöst und die Deutsche Arbeitfront (DAF) über-
führt.

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Die Situation 1945.

Die Grundlagen für die heutige Gestalt der Gewerkschaftsbewegung in der Bundesrepublik wurden nach 1945 vor allen Dingen durch die
Entwicklung in der britischen Besatzungszone gelegt. Hier erschien die erste offizielle Bekanntmachung zur Gründung von Gewerkschaften
bereits im August 1945. Darin hieß es u.a.:

"Die Genehmigung der Militärregierung, eine bestimmte Gewerkschaft zu bilden, verleiht den Organisatoren keine ausschließlichen Rechte.
Sollten andere Personen eine weitere Gewerkschaft in derselben Gegend zu gründen suchen, selbst wo eine solche den gleichen Kreis
oder die gleichen Kreise der Arbeiterschaft zu gewinnen sucht, können sie ... einen Antrag stellen."

Weiter hieß es in einer zweiten Bekanntmachung der Militärregierung vom 30. August 1945: "Die Militärregierung wünscht, daß das deutsche
Volk selbst entscheiden soll, welche Form von Gewerkschaften es haben will."

In den Richtlinien für den Aufbau und die Zulassung der Gewerkschaften schließlich, die am 12. April 1946 erlassen wurden, wird dargelegt:
"Genau wie andere deutsche Arbeiter, erhalten die Angestellten das Recht, sich zu organisieren und die Art der Gewerkschaft zu wählen,
die sie wünschen."

Diese Äußerungen der Militärregierung sind ein Beweis dafür, daß die britische Besatzungsmacht nach 1945 keinen Einfluß auf die
gewerkschaftliche Organisationsform genommen hat. Der Streit um diese Organisationsform war vielmehr von Anbeginn eine rein
innerdeutsche Angelegenheit.

Es begann zunächst damit, daß man sich in den Reihen der Gründer der Gewerkschaften nach 1945 darüber stritt, ob es nur eine einzige
Einheitsgewerkschaft mit unselbständigen Untergliederungen oder eine größere Zahl von selbständigen Gewerkschaften mit eigener
Finanzhoheit in einem Gewerkschaftsbund geben sollte.

Nach zum Teil heftigen Auseinandersetzungen in den lokalen und regionalen Gewerkschaftsorganisationen in Hamburg, Schleswig-Holstein,
Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen fiel schließlich auf einer Konferenz der Gewerkschaften der britischen Besatzungszone vom 21.
bis 23. August 1946 in Bielefeld die Entscheidung. Die mit 350 Delegierten beschickte Konferenz nahm eine organisationspolitische Ent-
schließung an, in der es u.a. heißt:

"Der autonome Industrieverband, unterteilt in Berufsgruppen und Sparten und gleichzeitig regional den Bedürfnissen aufgegliedert, ist -
nach der Überzeugung der in Bielefeld Versammelten - die Organisationsform, die den höchsten Wirkungsgrad verspricht ..."

Mit dieser Entschließung war die Entscheidung zugunsten des Gewerkschaftsbunds mit selbständigen Industriegewerkschaften gefallen,
wie wir ihn heute im DGB haben. Offen war aber noch die Frage, wie die inzwischen gegründeten Angestelltengewerkschaften in die
Organisationsstruktur eines solchen Gewerkschaftsbunds eingegliedert werden könnten.

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Die Entwicklung bis zum Frankfurter Abkommen.

Bereits im Oktober 1946 trafen sich in Frankfurt Vertreter der gewerkschaftlich organisierten Angestellten der britischen, französischen
und amerikanischen Zone. Dabei stellte sich sehr schnell heraus, daß die Mehrheit der Angestelltenvertreter für eine selbständige
Angestelltengewerkschaft eintrat.

In der amerikanischen Zone sprach sich Ende 1946 ein inzwischen gebildeter Zonenausschuß der Angestelltenverbände für eine selbständige
Angestelltengewerkschaft aus. Ähnlich war die Meinungsbildung in der britischen Zone, wo sich auf einer Konferenz vom 12. bis 14. Februar
1947 in Nienburg an der Weser die Angestelltengewerkschaften der britischen Zone zur DAG zusammenschlossen. In Paragraph 1 der ange-
nommenen Satzung hieß es:

"Die selbständige Deutsche Angestellten-Gewerkschaft ist ein Glied des Deutschen Gewerkschaftsbunds."

Und in einer organisationspolitischen Entschließung der Nienburger Konferenz hieß es: "Die Angestellten fordern eine einheitliche
Angestellten-Gewerkschaft als Organisation für alle Angestellten Deutschlands. Sie lehnen das Prinzip der Industrie-Gewerkschaften unter
Einschluß der Angestellten ab und rufen die Angestellten aller Berufsgruppen auf, sich in der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft
zusammenzuschließen."

Vom 10. bis 12. Februar 1947 tagte in Berlin die 3. Interzonenkonferenz der deutschen Gewerkschaften mit Vertretern aus allen vier
Besatzungszonen. Diese Konferenz kam überein, einen Organisationsschuß einzusetzen, der bis zur nächsten Interzonenkonferenz die
organisationspolitische Problematik klären sollte. Dieser Organisationsausschuß tagte vom 11. bis 12. März 1947 in Frankfurt und kam zu
einem Kompromiß, der als FRANKFURTER ABKOMMEN in die Nachkriegsgeschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung eingegangen ist.
Darin heißt es zur Problematik der Angestellten:

"Gegenüber den bis 1933 bestandenen Verhältnissen ist es ein großer Fortschritt, daß die jetzt eingeleitete Konzentration in der
Angestelltenbewegung zu einer organisatorischen Festigung und ideologischen Einheit führt ...

Die Kommission sieht die Notwendigkeit, trotzdem zur weiteren Klarheit im Problem der gewerkschaftlichen Erfassung der Angestellten zu
gelangen, und empfiehlt die Schaffung von Angestelltengewerkschaften im Rahmen der Gewerkschaftsbünde. Dabei erklärt sie, daß das
endgültige Ziel in der organisatorischen Vereinigung aller Arbeitnehmer erblickt werden muß.

Die bevorstehenden großen Aufgaben, die die Gewerkschaften bei der Schaffung einer wahren Demokratie in der Wirtschaft zu erfüllen
haben, zwingen aber die Arbeiter und Angestellten schon heute, in den Betrieben, die in Gemeinwirtschaft überführt sind oder werden,
eine einheitliche Organisation aller Arbeitnehmer zu schaffen. Auch in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben sowie in den öffent-
lichen Körperschaften ist die einheitliche Organisation aller Arbeitnehmer das Ziel. Insbesondere sollen in folgenden Industrien dahin-
gehende Vereinbarungen getroffen werden: Bergbau, Chemie, Stahl und Eisen, Energieversorgung, öffentliche Verwaltung und Betriebe
sowie die öffentlichen Körperschaften.

Um die hier aufgestellten Grundsätze zu verwirklichen, haben die satzungsmäßig festgelegten Organe der Bünde gemeinsam mit den
in Frage kommenden Gewerkschaften Vereinbarungen über das beiderseitige Organisationsgebiet zu treffen. Die hiernach in Betracht
kommenden Industriegewerkschaften oder die Angestelltengewerkschaften sind verpflichtet, alle im Betrieb befindlichen Arbeitnehmer
(Arbeiter, Angestellte und Beamte) mit zu erfassen."

Dieses FRANKFURTER ABKOMMEN wurde von der 4. Interzonenkonferenz, die vom 6. bis 8. Mai 1946 in Garmisch-Partenkirchen tagte,
einstimmig als Empfehlung an die Gewerkschaften aller Besatzungszonen gebilligt. Die Durchführung dieses Abkommens blieb jedoch
für die Angestelltengewerkschaften unbefriedigend, da sich die Mehrzahl der Industriegewerkschaften auf Verhandlungen nicht ein-
lassen wollte.

Auf dem Gewerkschaftstag der DAG der britischen Zone in Bielefeld vom 21. bis 23. Mai 1948 bestritt jedenfalls der damalige DAG-
Vorsitzende Wilhelm Dörr, daß die Industriegewerkschaften "überhaupt den ernsthaften Versuch gemacht" hätten, das Frankfurter
Abkommen in die Tat umzusetzen. Seine Enttäuschung verband Dörr jedoch mit einem erneuten Bekenntnis zum Deutschen Gewerk-
schaftsbund dessen Mitglied die DAG damals war und bleiben wollte.

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Die Trennung in der britischen Zone.

Zur Klärung der sich zuspitzenden Organisationsfrage wurde vom DGB der britischen Zone vom 16. bis 18. Juni 1948 ein außerordentlicher
Kongreß in Recklinghausen abgehalten. Zu diesem Kongreß reichte die DAG der britischen Zone eine Entschließung mit folgendem Wortlaut
ein:

"Der außerordentliche Gewerkschaftskongreß der Gewerkschaften der britischen Zone erkennt die Notwendigkeit einer Angestellten-
Organisation innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbunds an. Diese Organisation soll alle Angestellten in der Industrie, im Handel,
in den Banken und in Versicherungsbetrieben sowie in den öffentlichen Verwaltungen und der Schiffahrt erfassen."

Diesem weitgehenden Antrag, durch den für die DAG praktisch ein Organisationsrecht für alle Angestellten postuliert wurde, standen
entgegengesetzte Entschließungsentwürfe der Industriegewerkschaften gegenüber. In einer Sonderkommission einigte man sich schließlich
auf folgenden Kompromißvorschlag:

"Es gehören zur DAG folgende Gruppen:

A Geld-, Bank- und Börsenwesen
B Versicherungswesen
C Handel
D Verlagswesen, Vermittlung und Werbung
E Industrie

1. Der gesamte Bergbau, Großchemie lt. früherer Vereinbarung zwischen DAG und IG Chemie-Papier-Keramik, und alle Werke der Eisen
und Stahl erzeugenden Industrie gehören ohne Einschränkung in die zuständige Industriegewerkschaft.

2. In der weiterverarbeitenden Industrie und in allen übrigen Industrien haben die zu ständigen Industriegewerkschaften und die DAG
das gleiche Recht, unter den Angestellten zu werben.

Dieser Berufskatalog kann durch Vereinbarungen der Gewerkschaften unter Leitung und Zustimmung des Bundesvorstands abgeändert
werden.

Der bisherige Besitzstand der Organisation bleibt gewahrt. Abwerbungen jeglicher Art sind nicht statthaft.

Die Anwerbung neuer Mitglieder darf nur im Rahmen des Zuständigkeitsbereichs der einzelnen Organisationen erfolgen. In Betrieben,
wo Industriegewerkschaft und Angestelltengewerkschaft vertreten sind, soll die betriebliche Vertretung aller Arbeiter und Angestellten
durch die für den Betrieb zuständige Industriegewerkschaft erfolgen."

Von der Antragskommission des Recklinghausener DGB-Kongresses wurde jedoch dieser Kompromißvorschlag verworfen. Sie forderte, daß
die Ziffer E (Industrie) in Wegfall kommen müsse, damit dieser Organisationsbereich ausschließlich Domäne der Industriegewerkschaften
bleibe. Die DAG-Delegierten distanzierten sich darauf vom Kompromißvorschlag und brachten ihre zunächst zurückgezogene Entschließung
wieder ein.

Das Resultat von Recklinghausen: In namentlicher Abstimmung entschieden sich 153 Delegierte für das Industriegewerkschaftsprinzip -
nur 20 stimmten dagegen. Damit aber war die DAG aus dem DGB der britischen Zone ausgesperrt.

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Das Schicksalsjahr 1949.

Zu Beginn des Jahres 1949 war die Situation dadurch gekennzeichnet, daß in der britischen Zone die DAG schon nicht mehr Mitglied des DGB
war, während die Angestelltengewerkschaften in der amerikanischen und französischen Zone den jeweiligen Zonengewerkschaftsbünden noch
angehörten. Durch die Spaltung in der britischen Zone aufgeschreckt, unternahmen Vertreter der DAG und des DGB im März 1949 noch einmal
den Versuch einer Verständigung.

Was sich zunächst hoffnungsvoll anließ, erwies sich jedoch schließlich als herbe Enttäuschung: Der vorbereitende Ausschuß für die Bildung
eines gemeinsamen Gewerkschaftsbunds in den Westzonen faßte nach zweitägiger lebhafter Debatte den folgenden, für die DAG unannehm-
baren Beschluß:

"1. Der Ausschuß (= Vorbereitender Ausschuß für die Bildung eines gemeinsamen Gewerkschaftsbunds in den Westzonen) hält
grundsätzlich an der Organisationsform der Industriegewerkschaften fest.

2. Er empfiehlt den Zusammenschluß der Gewerkschaften Handel, Banken und Versicherungen zu einer Gewerkschaft Handel, Banken
und Versicherungen.

3. Die DAG ist eingeladen, an dieser Verschmelzung teilzunehmen."


Die erste Konsequenz dieser Entwicklung: Am 12. April 1949 vereinigten sich in Stuttgart-Bad Cannstatt

> die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, Hamburg,
> die Landesgewerkschaft Banken und Versicherungen Hessen,
> der Angestellten-Verband Bayern,
> der Angestellten-Verband Württemberg-Baden,
> die Landesvereinigung der Gewerkschaften der Angestellten in der französischen Zone Badens,

zur Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). Satzung und Fusionsvertrag wurden von den Delegierten einstimmig angenommen. Erster
DAG-Vorsitzender wurde Fritz Rettig.

Die zweite Konsequenz: Auf dem Münchner Gründungskongreß des DGB vom 12. bis 14. Oktober 1949 wurde die folgende, bis heute gültige
Satzungsbestimmung über die Mitgliedschaft aufgenommen:

"Voraussetzung für die Aufnahme in den Bund (= DGB) ist, daß dem Bund nicht bereits eine für die gleiche Arbeitnehmergruppe zuständige
Gewerkschaft angehört."

Als Berichterstatter führte dazu der damalige DGB-Organisationssekretär Georg Reuter aus: "Durch diese Bestimmungen ist es nicht möglich,
die DAG in den Kreis der Gründer einzubeziehen, denn sie, die DAG, reklamiert für sich Angestelltengruppen, die der vorbereitende Ausschuß
dieses Kongresses anderen zur Gründung bereiten Gewerkschaften zugesprochen hat ... Es wird allgemein bedauert, daß in dieser leidigen
Frage keine Verständigung erfolgt ist. Aber die Mehrheit konnte sich nicht bereit finden, das Industriegewerkschaftsprinzip so weit aufzuge-
ben, daß einer Gewerkschaft das Recht zuerkannt wird, die Angestellten aus sämtlichen Industriegewerkschaften oder mindestens wesent-
lichen Teile für sich als Mitglieder zu reklamieren."


Der kalte Krieg.

"Ich sage Ihnen nichts Neues, wenn ich feststelle, daß zu unserem eigenen Leidwesen in den letzten Jahren so ein gewisser kalter Krieg
stattgefunden hat ..." Dies erklärte der DAG-Vorsitzende Rettig vor dem Gewerkschaftstag im September 1951 in Berlin. Und in der Tat läßt
sich das Verhältnis zwischen DGB und DAG in den Jahren nach der Trennung am besten mit dieser Vokabel umschreiben. Sieger in diesem
von gelegentlichem Tauwetter unterbrochenen kalten Krieg blieb allerdings die DAG. Ihr gelang es, ihre Mitgliederzahl von 221.000 im Jahr
1949 auf 384.000 im Jahr 1953 und auf 472.000 im Jahre 1968 zu erhöhen.

Ernüchternd für den DGB war daneben vor allem der Ausgang der Sozialversicherungswahlen. Schon im Mai 1953 bei den ersten Wahlen
entfielen von den abgegebenen Stimmen in der Angestelltenversicherung 53 Prozent auf die DAG - dagegen nur 18 Prozent auf den DGB.

Schrieb damals das DGB-Funktionärsorgan DIE QUELLE:

"Das Wahlergebnis verpflichtet auch uns zu einer Kritik an unserer Arbeit. Offenbar ist auch von unserer Seite die Stellung der
Angestellten in Wirtschaft und Gesellschaft nicht immer zutreffend gewürdigt worden ... Einer Überprüfung bedarf auch die
gewerkschaftliche Organisationsform selbst. Es wird sorgfältig untersucht werden müssen, ob in dem bisherigen Rahmen die
Organisationsform gefunden worden ist, die den Interessen der Angestellten am besten dient und ihrem Bewußtsein entspricht."

Inzwischen hatte die DAG einen Antrag auf Aufnahme in den Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) gestellt. Der IBFG, der
sich durch ein Veto des DGB nicht in der Lage sah, dem Aufnahmeantrag der DAG zu entsprechen, regte jedoch Gespräche zwischen DAG
und DGB an, die 1953 und 1954 stattfanden. Die Bemühungen, auf diesem Wege zu einer Annäherung zu kommen, scheiterten jedoch.
Eine indirekte Verbindung zum IBFG besteht jedoch über die Mitgliedschaft der DAG im Internationalen Bund der Privatangestellten (IBP),
der als Internationales Berufssekretariat dem IBFG angeschlossen ist.

Anfang 1956 unterbreitete die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände den Gewerkschaften ein sogenanntes Zehn-
Punkte-Programm. Auf Anregung der DAG trafen sich DGB und DAG, um eine gemeinsame Stellungnahme zu erarbeiten. Zum ersten Mal
traten dann im April 1956 Vertreter des DGB und der DAG gemeinsam gegenüber den Arbeitgebern auf. Die DAG wollte diese Politik
fortsetzen. Die Befürworter einer derartigen Aktionsgemeinschaft im DGB, zu denen auch Ludwig Rosenberg zählte, konnten sich jedoch
nicht durchsetzen.

Im Jahr 1958 kommt es dann erneut zu einer kalten Dusche für den DGB: Von den bei den 2. Sozialversicherungswahlen im Rahmen
der Angestelltenversicherung abgegebenen Stimmen entfällt wieder ein Anteil von 53 Prozent auf die DAG, auf den DGB dagegen nur
24 Prozent.

Ein für die 3. Sozialversicherungswahlen des Jahres 1962 getroffenes Stillhalteabkommen zwischen DAG und DGB erlaubte es zwar
dem DGB, seinen Stimmenanteil auf 27 Prozent zu erhöhen, die DAG blieb jedoch mit 52 Prozent weiter führend.

Die DAG mußte in der Folgezeit erkennen, daß der DGB ihre Verständigungsbereitschaft kaum honorierte. So wurde zwar ein Versuch der IG
Chemie-Papier-Keramik, die DAG zur "gegnerischen Organisation" zu erklären, auf dem 4. Angestelltentag des DGB noch nicht akzeptiert.

Der 6. DGB-Kongreß nahm jedoch Leitsätze zur Angestelltenpolitik an, in die die Forderung der IG Chemie Eingang fand. Die 5. Angestellten-
konferenz der IG Metall im Juni 1965 empfahl, nach Möglichkeit keine gemeinschaftlichen Tarifverhandlungen mit der DAG zu führen.

Als der Bundeswirtschaftsminister Prof. Schiller (SPD) die Konzertierte Aktion begründete, unternahm die DAG erneut einen Versuch, zu
einer Aktionsgemeinschaft mit dem DGB zu kommen. In einem vom damaligen Vorsitzenden Rolf Spaethen sowie von Hermann Brandt
unterzeichneten Schreiben vom 22. Februar 1967 schlägt die DAG dem DGB vor:

"Wir sollten unsere Tarifpolitik versuchen zu koordinieren, dergestalt, daß sich vor jeder wichtigen Lohn- und Gehaltsbewegung Beauf-
tragte beider Bundesvorstände und / bzw. der unmittelbar beteiligten Industriegewerkschaft und der DAG treffen, um zu versuchen,
eine Koordinierung bezüglich der Forderungen und der eventuell für notwendig erachteten taktischen Grundlinie zu erreichen. Dies soll
keine Institutionalisierung bedeuten, sondern im Wege des kollegialen Verkehrs - oder meinetwegen des gentlemen agreement - erfolgen
ohne irgendwelchen Aufhebens in der Öffentlichkeit, ohne schriftliche Verträge und ohne Einschaltung von Massenmedien, einfach als Wort
unter Männern." Ludwig Rosenberg lehnte mit Schreiben vom 21. März 1967 mit Hinweis auf die Tarifhoheit der Einzelgewerkschaften eine
solche Zusammenarbeit ab.

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Die jüngste Entwicklung.

Das Jahr 1968 bringt mit den 4. Sozialversicherungswahlen erneut eine Enttäuschung für den DGB. Im Rahmen der Angestelltenversicherung
kann der DGB zwar den Anteil der für ihn abgegebenen Stimmen auf 29 Prozent erhöhen. Die DAG behauptet jedoch mit einem Stimmenanteil
ihre führende Position.

Inzwischen mehren sich erneut die Stimmen, die die 1949 beschlossene Organisationsreform des DGB nicht für der Weisheit letzten Schluß
halten. Von der SPD ermuntert (SPD-Vorsitzender Willy Brandt vor dem SPD-Parteitag im März 1968 in Nürnberg: "Es ist kein Geheimnis, daß
die Partei wenig Verständnis hat für die Hindernisse, die in der Überwindung gewisser gewerkschaftlicher Organisationszäune im Wege
stehen.") werden erneut Pläne erörtert, durch Änderungen der DGB-Satzung namentlich eine Aufnahme der DAG und der Polizeigewerkschaft
(1968 !) in den DGB zu ermöglichen.

Umgekehrt befaßte sich auch die DAG nach dem Ausscheiden von Rolf Spaethen unter ihrem Vorsitzenden Hermann Brandt erneut mit dem
Verhältnis zum DGB. Die Mitglieder des Bundesvorstands und des Beirats der DAG kamen im Januar 1968 zu einer Klausurtagung im DAG-
Ferienheim Walsrode zusammen, um ausführlich die Beziehungen zum DGB zu diskutieren. Ergebnis der Tagung: Eine von Fritz Weise, dem
Sekretär des DAG-Vorsitzenden, zusammengestellte Dokumentation, in der die Bereitschaft der DAG zur gewerkschaftlichen Solidarität
betont und für die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung allein der DGB verantwortlich gemacht wird.

Daß es zu einem Eintritt der DAG in den DGB kommen könnte, muß jedoch nach wie vor als unwahrscheinlich gelten. Einerseits sind die
wichtigsten Industriegewerkschaften des DGB nicht bereit, ihren Anspruch auf die Organisierung der Angestellten in ihren Branchen
aufzugeben. Andererseits ist es kaum denkbar, daß die DAG nach 20 Jahren erfolgreicher organisationspolitischer Autonomie zu ähnlich
weitreichenden Kompromissen bereit sein wird, wie noch im Jahre 1948 in der britischen Zone.

Auch wäre es völlig utopisch anzunehmen, daß sich die DAG mit dem derzeitigen Organisationsbereich der DGB-Gewerkschaft Handel, Banken
und Versicherungen (HBV) zufrieden geben könnte. Nach dem Organisationsstand vom 30. September 1968 entfallen von den 471.000
DAG-Mitgliedern nur etwa 69.000 auf diesen Wirtschaftszweig.

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