Die machtvolle Angestelltengewerkschaft DHV.

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Die machtvolle Angestelltengewerkschaft DHV.

Beitrag von -sd- »

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Gunter Lange 'Die braune Gewerkschaft'

In: DIE ZEIT online / DIE ZEIT Archiv / Jahrgang 2013, Ausgabe 22.
Abgedruckt in der ZEIT am 23. Mai 2013:
http://www.zeit.de/2013/22/gewerkschaft ... lismus-dhv

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DHV (1893-1933) - Ein Zubringer.

Beitrag von -sd- »

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Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband (DHV) wurde 1933
ebenso gleichgeschaltet wie andere Gewerkschaften, Bünde und inter-
ressenpolitische Zusammenschlüsse. Der DHV hatte allerdings zu die-
sem Zeitpunkt seine Schuldigkeit als Zubringer der siegreichen NS-
Bewegung getan: Der stark völkisch-antisemitisch ausgerichtete DHV
war seit Jahrzehnten weniger ein gewerkschaftlicher Interessenver-
band als vielmehr eine Art "Gesinnungsgemeinschaft". Als solche hat-
te er die Denkweise breiter Mittelstandsschichten im Sinne antiparla-
mentarischer und antisemitischer Vorstellungen beeinflußt. Daß die
braune Revolution und "Volksgemeinschaft" so rasch ihre Kinder ver-
schlang, lag natürlich nicht in der Absicht des Verbands, wohl aber in
der Konsequenz seiner Ideologie.

Die Gründung des DHV im Jahre 1893 in Hamburg stand im Zusammen-
hang zeitgenössischer antisemitischer Organisationsformen. In der
historischen Dissertation von Iris Hamel 'Der Deutschnationale Hand-
lungsgehilfenverband 1893-1933' werden die Wurzeln und die Ent-
wicklung dieses Verbands, für den in der Bildungsarbeit mit dem Fern-
ziel einer "Kulturerneuerung" ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag,
sorgfältig, allerdings ein wenig umständlich, dargestellt. Der Weg von
einer lokalen Berufsorganisation zu einer überregionalen Angestellten-
gewerkschaft war ein Weg politischer Rechtsorientierung, der in einer
Sackgasse endete.

Quelle: Rudolf Morsey
am 1. November 1968 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Iris Hamel 'Völkischer Verband und nationale Gewerkschaft.
Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband 1893-1933'.
(Veröffentlichung der Forschungsstelle für die Geschichte des
Nationalsozialismus in Hamburg, Band VI.)
Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt. 292 Seiten, 24,-- DM.


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Am 27.6.2025 reagierte Bernd Anders:

War der DHV ein Zubringer zur Nationalsozialistischen Bewegung ?
Dies behauptet zumindest der Historiker Rudolf Morsey.

Der DHV war bei seiner Gründung 1897 dem völkischen Gedankengut verfallen
und in dieser Zeit auch eine Gesinnungsbewegung. Aber natürlich hauptsächlich
eine Interessenvertretung – mit massiv antisemitischen Zügen. Die gewerkschaft-
lichen Forderungen und Ziele bestimmten aber im Laufe der folgenden Jahre und
Jahrzehnte zunehmend immer stärker die Tagespolitik. Bereits 1911 mit der Wahl
von Hans Bechly wurde die gewerkschaftspolitische Arbeit in den Vordergrund ge-
stellt, die antisemitischen Haltung trat in den Hintergrund.

Der DHV nennt sich Deutschnationaler Handlungsgehilfen-Verband. Und deutsch-
national war auch seine Einstellung und seine Handlungen. Als Gesinnungsgemein-
schaft kann ich nach 1922 nur eine Zeitschrift sehen. die eine Auflage von weniger
als 1500 Exemplaren hatte und ihr Erscheinen bald darauf einstellte

Hauptbeitrittsgrund der Mitglieder nach 1919 waren allerdings die guten
Leistungen: Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung, Kurhäuser, Reiseangebote,
Lehrlingsangebote, Weiterbildung, Goldmarksparkasse, preiswerte Bücher und
vieles mehr. In seinen Übungsabenden für die Vorbereitung zur Kaufmannsgehil-
fenprüfungen lernten viele Lehrlinge die Dinge, die sie in ihrer Firma nicht erfuh-
ren aber für die Prüfung benötigten. Dies war für den Verband äußerst erfolgreich,
da viele dem DHV beitraten.

Der DHV war maßgeblich an der Gründung der GAGfAH Gemeinnützige Aktien-
Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten beteiligt und besaß die Kapitalmehrheit.
Der DHV überstand die Inflation besser als viele andere Gewerkschaften.

Erst recht nach der Inflation waren es diese Leistungen, die zählten!
FRAUEN waren zwar ausgeschlossen. Zusammen mit dem VWA gab es allerdings
in einigen Regionen des DHV in der Praxis Ausflüge, Wanderungen und Betriebs-
besichtigen. Die Tanzveranstaltungen des DHV waren äußerst beliebt und führten
häufig zu Eheschließungen. Ideologisch waren sie kontraproduktiv.

Auch waren JUDEN durchaus Mitglieder: Halbjuden, Vierteljuden und Ausgetre-
tene. Juden, die im Erstem Weltkrieg Militärdienst geleistet hatten wurden als
Mitglieder anerkannt. Und schließlich gab es auch jüdische Bürger, die diese
Bedingung ignorierten – wohl auch wegen der Leistungen des Verbands.

Die Tageszeitung 'Der Deutsche' war eine Gründung des Christlichen Dachver-
bands der Angestelltenorganisationen. Die Zeitschrift war zeitweise stark rechts-
lastig, wechselten ständig und ihre Schriftleiter waren umstritten. Sie berichtete
auch über den DHV. Die Schriftleitung wechselte häufig, weil der Verband unzu-
frieden war. Hier gab es zeitweise eindeutig nationalsozialistische Artikel.

Die Hauptverwaltung und der Aufsichtsrat waren deutschnational und konser-
vativ und keineswegs nationalsozialistisch orientiert.
Die Verbandsspitze ten-
dierte im Großen zur Christlich-soziale Reichsvereinigung / 'Christlich-sozialer
Volksdienst' und zu den 'Volkskonservativen' (z.B. Walter Lambach).

Ein ostdeutscher Gauleiter des DHV namens Albert Förster war bereits frühzeitig
NSDAP-Mitglied und Reichstagsabgeordneter. Er wurde aus der DHV ausgeschlossen
und dies wurde groß in der Mitgliederzeitschrift veröffentlicht.

Zur Reichspräsidentenwahl am 10.4.1932 rief der DHV zur Wahl von Hindenburg
zum Reichspräsidenten auf (und nicht für Hitler). Dies wurde in der Mit-
gliederzeitschrift Deutsche Handelswacht als ganzseitiger Aufmacher auf S.1 der
Ausgabe mitgeteilt. Der DHV wurde danach von den Nationalsozialisten massiv
bekämpft und beschimpft (ab April 1932 !).


Zu den vielen politischen Querverbindungen gehörten auch Kontakte zu linken
'Strasser-Flügel' der NSDAP.

Der Hauptschriftleiter dieser Deutschen Handelswacht hatte bereits 1930 Bezie-
hungen zu anderen Gewerkschaften geknüpft und ging 1933 in den Widerstand.
Er war nicht der Einzigste der in den Widerstand ging. - Viele hauptberufliche
Angestellte verloren ihre Arbeit.

Der DHV versuchte, nicht von der Deutschen Arbeitsfront übernommen zu werden
und gründete die Deutsche Angestelltenschaft, die aber nur kurze Zeit überlebte.
Allerdings gab es auch ehemalige DHV Mitglieder, die später z.T. führende Positi-
onen bei nationalsozialistischen Organisationen und Umfeld erlangten.

Eine Gesinnungsgemeinschaft sehe ich nur in der Gründungsphase des DHV. Bei
einem Buchverlag des DHV kann man nach 1930 auch rechte und völkische Lite-
ratur finden.

Nach 1930 stieg die Zahl junger Mitglieder, die sich zur SA und NSDAP hingezogen
fühlten. In einigen Regionen gab es allerdings einen stärkeren Anteil von DHV-
Anhängern an nationalsozialistisches Gedankengut nicht aber reichsweit. Die Zahl
der Angestellten, die die NSDAP wählten, war allerdings gleichhoch wie bei den
Arbeitern – auch wenn dies teilweise anders behauptet wird.

Der Begriff "deutschnational" trifft für den Deutschnationalen Handlungsgehilfen-
Verband“ recht exakt zu. Es ist also Differenzierung angesagt.
Zubringerdienste sehe ich keineswegs. Auch keine Belege dafür.


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